Boris Reitschuster - Grundrecht-Entzug wegen möglicher Überlastung der Kliniken - 09.04.2021

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Die massivsten Einschränkungen der Grundrechte der Bürger seit Bestehen der Bundesrepublik werden vor allem mit der Gefahr einer Überlastung des Gesundheitswesens begründet. Der frühere Vize-Präsident des Bundesverfassungsgerichts Ferdinand Kirchhof hatte in einer Generalabrechnung mit der Bundesregierung insbesondere auch diese Begründung kritisiert (siehe Bericht hier). Der Staatsrechtler macht geltend, es sei Aufgabe des Staates, für ausreichende medizinische Kapazitäten zu sorgen. Ich wollte heute auf der Bundespressekonferenz von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) wissen, wie er zu dieser Kritik steht – gerade in Anbetracht der vielen Klinik-Schließungen und eines massiven Rückgangs der Zahl der Intensivbetten mitten in der Krise. Wie oft antwortete der Minister sehr ausführlich – aber zumindest in Teilen an der Sache vorbei. So einleuchtend seine Argumentation in Sachen Pflegepersonal ist – so weicht er etwa dem Thema Krankenhaus-Schließungen aus. Mein Zwischenruf, was mit den Kollateralschäden sei, veranlasste ihn noch zu einer längeren Ausführung über die Risiken von Covid-19. Wobei er auch da auf Kollateralschäden nicht einging. Lesen Sie unten das Stenogramm oder sehen Sie sich die Szene hier ab Zeitmarke 2.45 an.

Besonders bemerkenswert in meinen Augen: Während des Radelns zur Bundespressekonferenz sprach ich mit einem ehemaligen Regierungsmitglied am Telefon. Er erklärte mir seine Version des Regierungshandelns. Er findet nur eine Erklärung dafür, dass Merkel & Co. im Moment auf unpopuläre Schritte setzen und den massiven Verlust an Vertrauen bei den Umfragen akzeptieren. Er glaubt, kurz vor der Bundestagswahl im Sommer werde die Regierung die große „Öffnung“ verkünden, und dann ganz auf die Vergesslichkeit und Euphorie der Menschen setzen für die Bundestagswahl im September. Wobei er das nicht im Sinne einer „Verschwörungstheorie“ sieht, sondern als politische Taktik. Wegen dieses Vorgesprächs musste ich aufhorchen, als Spahn dann in seiner Antwort an mich genau davon sprach, dass im Sommer alles zu Ende gehen werde. Ich will Ihnen auch noch ein weiteres Zitat des ehemaligen Regierungsmitglieds verraten: „Wenn dann erst mal wieder gewählt ist und die Mehrheitsverhältnisse für vier Jahre stehen, dann kann man im Oktober auch die vierte Welle ausrufen und den nächsten Lockdown verkünden. Das Gedächtnis der Menschen ist bekanntlich kurz, und ihre Geduld groß.“

Beachtlich fand ich auch, dass Spahn gleich zweimal auf der Bundespressekonferenz davon sprach, in der aktuellen Krise solle man die Parteipolitik hintanstellen. Wieler sprach in einem anderen Zusammenhang davon, dass ohne einen strengeren Lockdown mehr Menschen sterben würden, könne man nicht diskutieren. Mir machen solche Aussagen in einer Demokratie Angst. Auch in einer Krise muss diskutiert werden. Wir sollten uns hüten in ein „Hurra minus Patriotismus“ zu verfallen, wie es einst Kaiser Wilhelm der Zweite pflegte, der zu Beginn des Ersten Weltkrieges sagte: „Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche.“ Die Stimmung im Lande, wie sie von Medien und Politik erzeugt wird, erinnert in Vielem an eine Gesellschaft im Kriegszustand. Es wird mobilisiert und Kritik an den Maßnahmen der Regierung wird als Verrat beziehungsweise als Feindseligkeit aufgefasst. Genau das sollte in demokratischen Gesellschaften nicht geschehen. Schon gar nicht in Friedenszeiten.

Aber nun hier mein Wortwechsel mit Spahn auf der Bundespressekonferenz.

REITSCHUSTER: Herr Spahn, der Ex-Vizepräsident des BVG, Herr Kirchhof, hat Ihre Corona-Politik kritisiert. Er sagte, es sei schwierig, wenn man die Einschränkungen der Grundrechte mit einer möglichen Überlastung der medizinischen Einrichtungen begründe. Er sagte wortwörtlich: “Da muss der Staat einfach mehr Einrichtungen schaffen.” Warum ist bisher eher das Gegenteil zu beobachten, Rückgang von Intensivbetten, Schließung von Krankenhäusern?

SPAHN: Die Frage, das hat ja Professor Wieler gerade schon gesagt, ist nicht die Zahl der Betten. Betten – und auch im Zweifel Beatmungsgeräte – haben wir auch noch vorrätig, davon haben wir genug. Das Thema ist das Personal. Und jedem – wissen Sie, alle Umfragen zeigen den Deutschen ist die Frage, wie wir das Pflegepersonal, welche Rahmenbedingungen wir ihnen geben – sehr, sehr wichtig. Wir entscheiden aber alle gerade miteinander, jeden Tag, durch unser eigenes Verhalten, die Rahmenbedingungen der Pflegekräfte in den Krankenhäusern ziemlich sehr.
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