Lied der Verbundenheit - Amazing Grace - 2020-06-14 Hebammen, Geburtshelfer, Eltern während Corona

163 Aufrufe
Published
Tag Nr. 93– 14. Juni 2020„ … So Tanja! Es ist jetzt 22.00 Uhr. Ich gehe nach Hause und Ruhe mich heute Nacht noch ein wenig aus... Meine Kollegin wird sich in den nächsten Stunden um dich kümmern! Und wenn ich dann wieder da bin, dann dauert es nicht mehr lange und du wirst deinen Sohn in deinen Armen halten.“ Es sind diese Worte, die mich noch heute weinen lassen. Meine Hebamme hatte mich schon den ganzen Abend in meinen Wehen begleitet. Doch Mika ließ sich Zeit. Heute wissen wir, dass da ‚jemand‘ seine schützende Hand über ihn gehalten hatte. Ihn ZURÜCK gehalten hatte. Weil er sonst seine Geburt nicht überlebt hätte.Ich weiß‘ noch wie heute, wie es plötzlich hektisch um mich herum wurde. Es war der 13. Juni kurz vor Mitternacht. Die „Ersatz-Hebamme“ nahm den Ausdruck des CTGs, rannte nach einem kurzen Blick darauf aus dem Zimmer und kam kurze Zeit später mit einem Arzt wieder rein. „… Es gibt ein Problem, Frau Köhler!… Mikas Herztöne verschwinden bei jeder Wehe … Wir müssen sofort die Wehen unterbinden!!! Wir haben gerade weder Personal noch einen Platz im Kreissaal oder in den OPs …. Alles voll!“Es war das Jahr 2006. Das Jahr des großen Ärzte-Streiks. Der erste Streik dieser Art nach über 30 Jahren. Die meisten angestellten Ärzte legten ihre Arbeit nieder, um für mehr Geld zu demonstrieren. Zudem hatte das Bethesda-Krankenhaus in Essen gerade für immer seine Pforte geschlossen. Aus wirtschaftlichen Gründen. Und so kämpften die werdenden Eltern in diesem Jahr um Geburtsbetten. Alleine an Mikas Geburtstag kamen über 40 Kinder in „meinem“ Krankenhaus auf die Welt. Gefühlte Fließbandabfertigung. Keine Zeit für verängstigte Eltern. Keine Zeit für Geburts-Notfälle. Weil die noch wenigen verbliebenen Ärzte die noch „schlimmeren Notfälle“ behandelten. Es wurde einfach sortiert: Wer braucht JETZT Hilfe? Wer kann noch warten? Wer kann noch etwas warten?Um kurz nach Mitternacht ging die Tür wieder auf. Meine Hebamme kam aus ihrem Feierabend zurück. Sie hatten sie angerufen „Da läuft was schief bei der Geburt!“. Christine ließ mich nicht alleine. Sie nahm meine Hand und erklärte mir, dass sich Mika unter jeder Wehe wahrscheinlich selbst strangulieren würde. Und dann kam der Arzt wieder zurück und gab mir eine Spritze. Wie von Geisterhand waren sie plötzlich weg. Die Wehen. Von einer Minute auf die andere.Ich weiß gar nicht, wie sich das beschreiben lässt, dass man auch nur annähernd nachvollziehen kann, was in einem solchen Moment in und mit einem passiert.Du liegst in einer sterilen Umgebung mit deinem dicken Bauch. Du bist eh schon 8 Tage über dem errechneten Geburtstermin (06.06.06). Die Wehen, die du bis vor einer Minute noch hattest, sind plötzlich weg. Aber das Kind, das du eigentlich schon längst in deinen Armen haben solltest, ist noch immer drin. Du bist angeschlossen an ein CTG und kannst die Herztöne deines Kindes hören. Gleichmäßig. Weil keine Wehen. Der Arzt sagte: „Wir werden einen Kaiserschnitt machen. Sobald ein Saal frei ist. Sollten seine Herztöne aber wieder weggehen, dann müssen wir ihn rausholen! Und zwar sofort!“ Nur eine Mutter kann nachvollziehen, wie es mir ging. Welche Gedanken ich hatte. Welche Angst ich hatte.Mika kam am 14. Juni 2006 um 15.49 Uhr auf die Welt. Fast 16 Stunden nachdem man festgestellt hatte, dass seine Herztöne weggehen. 16 Stunden nach der wehenhemmenden Spritze.Bis zu diesem Zeitpunkt war ich über 25mal im OP. ‚ …JETZT – ja JETZT könnte man den Kaiserschnitt machen. Jetzt wäre er gleich in Sicherheit. …‘ Und dann? Dann kam wieder ein Notfall rein. Und ich wurde wieder aus dem OP geschoben. „Tut uns leid, ein Notfall!“. Und wieder ein Notfall und wieder ein Notfall und wieder ein Notfall…. Gegen 15.00 Uhr war ich dann der Notfall. Seelisch. Ich konnte einfach nicht mehr.2 Kinderärzte standen für Mika bereit. Die Geburt dauerte glaube ich keine 5 Minuten. Ein kurzer Blick auf ihn wurde mir geschenkt und dann war er weg. Die Ärzte mussten sich um ihn kümmern. Ich sagte meinem Mann, dass ich den Rest alleine schaffen würde. Er solle immer in der Nähe von Mika bleiben. Mika hatte die Nabelschnur 2 x um seinen Hals gewickelt und einmal um sein Füßchen. Bei jeder Wehe schnürte sich die Nabelschnur fester um sein Hälschen. Weder er noch ich hätten eine natürliche Geburt überlebt…Heute feiert mein Goldschatz seinen 14.ten Geburtstag. Und ich kann die Größe meiner Mutterliebe nicht in Worte fassen. Kinder sind ein Geschenk Gottes. Lasst uns heute unser Lied der Verbundenheit mit allen Hebammen und Geburtshelfern spielen. Ihr seid so wichtige Begleiter und Unterstützer! Und lasst uns das Amazing Grace auch für alle spielen, die während dieser verrückten Corona-Zeit Eltern geworden sind. Ich bin gespannt, was Ihr in 14 Jahren über die Geburt Eurer Kinder berichten werdet. Ich für mich kann nur sagen: nur selten kommen die schrecklichen Erinnerungen hoch. Die Gesundheit meines Sohnes und die gegenseitige Liebe haben sich wie ein schützendes Mäntelchen um meine Seele gewickelt.
Kategorien
Corona Virus aktuelle Videos Gesundheits Tipps Muss man wissen
Kommentare deaktiviert.